Wie kann ein Unternehmen in umkämpften Märkten einen strategischen Wettbewerbsvorteil aufbauen, wenn eine Differenzierung über das Produkt oder die Dienstleistung nicht möglich ist? Dazu Reinhold Würth: „Ich habe innerhalb von rund 60 Jahren aus einem Zwei-Mann-Betrieb ein Unternehmen mit über 60.000 Beschäftigen aufgebaut – und dies mit Schrauben und Befestigungsmaterial! In jedem Eisenwarenladen bekommen Sie Schrauben. Der Vertrieb ist hier der Schlüssel für den Erfolg.“

Unternehmen werden nicht allein durch eine vertriebsorientierte Kultur zur Sales Driven Company. Strategien, Strukturen und Prozesse müssen ebenfalls vertriebsorientiert gestaltet werden. Bei Würth beschreibt man diese Philosophie auf der Website (www.wuerth.com) wie folgt: „Dazu zählen eine starke Markenpolitik, eine zukunftsweisende Produktstrategie, Kundennähe, eine eindeutige Qualitätsoffensive, das Denken in Visionen und nicht zuletzt eine starke Unternehmenskultur.“ Die Unternehmenskultur spielt bei Würth also eine besondere Rolle. Im Folgenden werden ausgewählte Facetten erläutert. Andere Unternehmen können davon lernen, eine eigene vertriebsorientierte Kultur zu schaffen.

Würth hat eine wachstumsorientierte Unternehmenskultur geschaffen, in der die Vertriebsleistung im Fokus steht. Das Streben nach Wachstum – bei Würth i.d.R. zweistellig – zeigt sich selbst in Krisen, die nach nach Reinhold Würth immer Ansichtssache sind: „Wir haben in Deutschland 5% Marktanteil. Durch eine Krise fallen max. 10% des Bedarfs weg, dann sind es 15%, die nicht bearbeitbar sind. Unter dem Strich sind es immer noch 85% des Marktes, auf denen wir uns austoben können. Wir haben riesige Wachstumspotenziale. Ich habe während meiner Berufsjahre mit Sicherheit acht Krisen erlebt. Bis auf die Krise 2002/2003 sind wir jedes Mal gewachsen.“ Mit dieser Ambition wurde dann auch 2014 das Ziel von 10 Mrd. EUR Umsatz erreicht. Zwar drei Jahre später als erwartet, aber ambitionierte Beharrlichkeit muss kultiviert werden und führt dann auch zum Erfolg.
Geschäftsführung als oberste Verkäufer
Über die Rolle von Reinhold Würth als oberster Repräsentant und zugleich oberster Verkäufer gibt es viele Geschichten, die die Kultur prägen. Beispiel: Verkäufer des Unternehmens mussten lange Zeit damit rechnen, dass Reinhold Würth morgens in aller Frühe bei Ihnen vor der Tür stand um sich im Firmenfahrzeug neben seinen Mitarbeiter zu setzen und ihn den ganzen Tag zu begleiten. Wann, wo und wie oft er das tat, war nicht bekannt. Man tat also gut daran, immer vorbereitet und professionell zu sein. Diese Praxis wird auch heute noch in abgemilderter Form von der Geschäftsleitung im Rahmen der „Mitfahrten“ gepflegt. Man könnte von Schikane sprechen, aber es steckt eine Idee dahinter. Die Geschäftsführung muss selbst vertriebsorientiert sein und der Vertrieb muss immer professionell sein. Der Unternehmensführung kommt in Bezug auf die Kultur eine besondere Rolle zu, die Reinhold Würth als „Führungskultur“ beschreibt und die er als massgeblich für den Erfolg des Unternehmens einschätzt. In gleicher Weise setzt sich in manch anderem Unternehmen auch rasch durch, wenn die Geschäftsleitung sich nicht selbst um den Verkauf kümmert bzw. ernsthaft daran interessiert ist.
Wertschätzung des persönlichen Vertriebs
Der persönliche Vertrieb ist die Königsdisziplin der Würth-Gruppe. Auch wenn heute andere Vertriebswege aufgebaut werden, ändert dies nichts an dem Grundprinzip, die gesamte Organisation auf den Erfolg im Vertrieb auszurichten. In einer Zeit, in der viele Unternehmen nach mehr Effizienz und Effektivität in ihrer Marktbearbeitung suchen, steht Würth als Best Practice-Beispiel für eine Konsequenz in der Umsetzung der Verkaufsorientierung. In Krisenzeiten und wenn sich das Wachstum verlangsamt werden Verkäufer eingestellt und nicht abgebaut. Innerhalb der Unternehmensfunktionen wird der Verkauf als „Primus Inter Pares“ bezeichnet, der nach der Überzeugung bei Würth über Erfolg und Nichterfolg des Unternehmens entscheidet. Der Direktvertrieb ist und bleibt das Kerngeschäft des Unternehmens. Dazu Reinhold Würth: „Das Geschäft ist sehr personengetrieben. Ich kenne Verkäufer, die 25 oder 30 Jahre lang den gleichen Kunden bedienen. Unsere Verkäufer werden dann nicht nur gute Bekannte, sondern in vielen Fällen sogar Freunde der Kunden. Da bauen sich häufig echte Beziehungsgeflechte auf, die auch eine unglaublich hohe Wettbewerbsbarriere darstellen.“ Dies gilt natürlich nur dort, wo der Kunde das auch zulässt. Dann kann es aber zu einer echten Waffe werden.

Drei Lektionen für andere Unternehmen

1. Der wichtigste Faktor für die Würth-Kultur ist sicher Reinhold Würth selbst, der das Unternehmen über 67 (!) Jahre prägte. Unternehmen, die eine vertriebsorientierte Kultur aufbauen wollen, müssen dies im Top Management verankern und von dort nachhaltig vorleben.

2. Unternehmen, die den Vertrieb als Wettbewerbsvorteil ausspielen wollen, müssen zugleich an der Vertriebskompetenz und der Vertriebskultur arbeiten. Sie müssen vom Wert der Wachstums- und Vertriebsorientierung überzeugt sein und hier Ressourcen investieren. Nur so bekommt das Konzept Kraft und kann erfolgreich umgesetzt werden.

3. Vertriebs- und Wachstumsorientierung ist ein Wert, der von allen Mitarbeitenden aus Überzeugung gepflegt werden muss. Er muss im Denken und Handeln täglich präsent sein. Das lässt sich z.B. durch Sponsoring leistungsorientierter Sportarten verstärken.