Führung, heute bevorzugt Leadership genannt, wird nach meiner Wahrnehmung gerne glorifiziert. Zulässig und gesellschaftsfähig sind häufig nur die Facetten der so genannten transformationalen Führung. Die Führungskraft ist Vorbild, vermittelt den Mitarbeitenden das „Warum“ und eine Vision, inspiriert und greift allenfalls coachend ein. Macht man alles richtig, so suggerieren die selbsternannten Experten, folgen die Menschen der Führungskraft und man erreicht die Ziele quasi wie von selbst. Die Realität sieht anders aus. Natürlich gibt es Situationen und Mitarbeitende, bei denen die Rezepte der transformationalen Führung greifen. Situationen, in denen Führung Freude macht und sich leicht anfühlt. Aber es gibt eben auch andere.

Jede erfahrene Führungskraft weiß von Situationen zu berichten, in denen Führung wirklich fordernd ist: Mitarbeitende, die nicht wollen. Mitarbeitende, die nicht können. Mitarbeitende, die das Unternehmen aktiv hintergehen, Mitarbeitende, die Regeln und Vorgaben nicht einhalten usw. Solche Situationen sind nicht die Regel, aber leider auch nicht nur Ausnahmen. Nach meiner Erfahrung haben Führungskräfte zu jeder Zeit mindestens 1-2 ernsthafte Personalthemen. Die sind in der Regel anstrengend und beschäftigen die Führungskraft nicht selten über den Arbeitstag hinaus, z.B. morgens unter der Dusche oder abends im Bett. Wie geht man damit konsequent und doch verantwortungsvoll um?

Einige Hinweise für gute Führung in schwierigen Situationen:

  1. Fairness: Auch schwierige Mitarbeitende sind aus bestimmten Gründen eingestellt worden. Entweder ihr herausforderndes Verhalten wurde damals oder in der Probezeit nicht erkannt oder man hat es akzeptiert. In jedem Falle verdienen die Personen faire und professionelle Vorgehensweisen. Das oberste Gebot professioneller Führung ist daher Fairness.
  2. Konsequenz: Zu einem professionellen Führungsverhalten gehören auch Konsequenz bei Minderleistung und Fehlverhalten. Das ist der unangenehme Teil der Führungsarbeit und er wird häufig nicht thematisiert. Er beginnt mit einem klaren und professionellen Feedback und muss dann ggfs. mit anderen Mitteln konsequent weitergeführt werden, um Verhaltensänderungen zu bewirken.
  3. Führungsstilsouveränität: Gute Führungskräfte beherrschen heute das so genannte „Full Range Leadership“, d.h. Verschiedene Führungsstile, die sie souverän, ja nach Person und Situation einsetzen können. Dazu gehören, z.B. auch die heute eher unpopulären Stile, wie z.B. ein direktiver Stil, indem man klare Anweisungen gibt. In dringlichen Situationen, bei großen Risiken oder bei uneinsichtigen Mitarbeitenden helfen keine Stuhlkreise. Anweisungen gehören zum nützlichen und sinnvollen Führungsportfolio, auch wenn es unpopulär erscheint.
  4. Rechtsverbindlichkeit: Sanktionen, wie z.B. Ermahnungen und Abmahnungen gehören zum Instrumentarium einer Führungskraft. Damit sie ihre Wirkung nicht verfehlen und ggfs. auch vor einem Arbeitsgericht standhalten, sollte ihre Anwendung stets rechtlich korrekt sein. Anwaltliche Begleitung ist zumindest bei komplexen Fällen empfehlenswert.
  5. Ultima Ratio Perspektive: Die Trennung von einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter sollte Teil der Optionen sein. Sie greift dann, wenn andere Maßnahmen, wie zuvor geschildert, über einen gewissen Zeitraum ohne nachhaltigen Erfolg angewendet wurden. Dabei ist eine einvernehmliche Trennung im beiderseitigen Interesse einer Kündigung vorzuziehen. Eine Kündigung als Ultima Ratio muss rechtlich einwandfrei begründet sein. Fehlen diese oder sind sie nur schwer nachweisbar, sollte man weitere Zeit in die Vorbereitung der Kündigung setzen.
  6. Angemessene Großzügigkeit: Erfahrungsgemäß führen auch großzügige Trennungslösungen zu gekränkten Mitarbeitenden. Dennoch sollte eine Führungskraft eher großzügig als kleinlich sein, weil sich diese Praxis in der Regel herumspricht. Aus diesem Grund darf sie auch nicht zu großzügig sein, um keine falschen Signale auszusenden.
  7. Verantwortung: Gute Führungskräfte berücksichtigen auch bei schwierigen Mitarbeitenden das Gesamtbild und versuchen, wenn immer möglich verantwortungsvoll zu agieren. Spielen familiäre, private, gesundheitliche Themen eine Rolle? Auch wenn solche Themen der Führungskraft nicht immer transparent sind und aktives Nachfragen auch eher schwierig ist, sollte man stets um das Wohl der Personen als Menschen bemüht sein. Andererseits schöpft das Unternehmen seine Spielräume immer aus dem wirtschaftlichen Erfolg und dem Einsatz der Leistungsträger. Auch dem Unternehmen und den anderen Mitarbeitenden gegenüber hat eine Führungskraft Verantwortung.

Negatives Verhalten von Mitarbeitenden muss angegangen werden. Das sind Führungskräfte sich selbst, dem Unternehmen und den anderen Kolleginnen und Kollegen schuldig. Praktiziert man das nach den o.g. Empfehlungen bietet das allen Mitarbeitenden klare Orientierung und schafft die Basis für positive Leadership von der jeder Führungskraft täglich viele Einsatzmöglichkeiten zu wünschen sind.

Erstmals erschienen in: Marketing & Sales Review des Club55, 2020.

Photocredits to Jehyun Sung, Unsplash 2020.