„Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht“, dachte man früher, wenn ein Mensch dafür bekannt war, einfache Aufgaben eher umständlich zu erfüllen. „Warum so kompliziert, wenn es doch früher auch einfach ging“, könnte man den Trend zu mehreren Kanälen kommentieren. Das Thema hat in den letzten Jahren, angetrieben durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien, deutlich an Fahrt gewonnen. Dabei stehen viele Vertriebsorganisationen vor einem Dilemma. Zuerst scheinen sich durch neue Kanäle neue Kundengruppen zu erschließen. Dann stellt man fest, dass ein ähnliches und konstantes Geschäftsvolumen sich auf deutlich mehr Kanäle verteilt. Die ernüchternde Erkenntnis: Mehr Aufwand für das gleiche Geschäft. Die Kanäle kannibalisieren sich.
Das muss aber nicht so sein, wenn man von Beginn an mit der richtigen Einstellung an das Thema herangeht. Dazu ein Blick auf die Realitäten: Unterschiedliche Kanäle adressieren i.d.R. unterschiedliche Kundenbedürfnisse. Im Allgemeinen erwarten Kunden aber heute eine breite professionelle Präsenz in allen relevanten Kanälen. Spätestens wenn der erste Wettbewerber einen Kanal besetzt, werden damit Erwartungen bei Kunden geweckt, denen man sich kaum verschließen kann. Im Grunde hat man als Anbieter also gar keine Wahlmöglichkeiten. Daher empfehle ich auch keine Diskussionen zur Frage, ob ein Unternehmen in diesen oder jenen Kanal einsteigen soll. Vielmehr empfehle ich die Frage, in welcher Reihenfolge soll das Unternehmen die Kanäle systematisch und rasch aufbauen? Hier lässt sich ein interessantes Phänomen beobachten: Kanäle vermehren sich! Und zwar ausschließlich. Sie reduzieren sich nicht mehr. Natürlich könnte man dem entgegenhalten, was denn aus den alten Bankfilialen geworden sei? Nun, sie sind E-Banking, Automaten, zentralen Beratungscentern und Selbstbedienungscentern gewichen. Die Kanäle haben sich auch hier vermehrt.
Die Herausforderung liegt aber nun keineswegs nur darin, das Kanalwachstum zu managen. Vielmehr geht es um das integrierte Kanalmanagement. Und das macht die Sache letztendlich schwierig und höchst anspruchsvoll. Zwei Perspektiven sind relevant und lassen sich wie folgt zusammenfassen: Erstens, welche Produkte und Informationen werden auf welchem Kanal zu welchen Konditionen welchen Kunden angeboten? Diese Themen müssen mit Fingerspitzengefühl aufeinander abgestimmt sein. Unterschiedliche Preise sind dann nachvollziehbar und werden akzeptiert, wenn sie sich erklären lassen. So dürfen z.B. die Preise in einem Fabrikladen günstiger sein, als in „normalen“ Verkaufsräumen. Auch das Angebot darf sich in begründeten Fällen unterscheiden. So dürfen z.B. besonders erklärungsbedürftige Leistungen durchaus im Internetshop fehlen usw.
Zweitens, welche Ressourcen werden in welchen Kanal mit welchen Zielen und Anreizen investiert? Dies erscheint mir der heikelste Punkt, wie das Beispiel von Würth zeigte: Erst wurden neben dem klassischen Außendienst zusätzliche Verkaufsniederlassungen zur Selbstabholung durch die Kunden etabliert. Der Außendienst profitierte ebenfalls von den dort durch seine Kunden gekauften Produkte. Dann zeigte sich, dass das Wachstum mancher Außendienstler stagnierte, während die Niederlassungen wuchsen. In der Folge schrieb Reinhold Würth den vieldiskutierten „Brandbrief“ an seinen Außendienst, in dem er postulierte, dass der Außendienst seine hohen Kosten durch entsprechende Umsätze auch rechtfertigen müsse. Der persönliche Verkauf muss Mehrwerte zu einem unpersönlichen Kanal bieten. Nur so haben beide Kanäle ihre Daseinsberechtigung. Der Fall zeigt aber sehr schön, dass das rein additive Anbieten von mehreren Kanälen nicht zum gewünschten Erfolg führt. Integration schlägt Addition! Fazit: Früher ging es einfacher, heute leider nicht mehr. Es nutzt nichts, auf einem Kanal zu setzen, nur weil man das Geschäft so besser steuern kann. Die Dynamik bei Kunden und Wettbewerbern zwingt Anbieter zu proaktivem und professionellem Kanalmanagement.