von Prof. Dr. Dirk Zupancic
Alles Unkenrufen der letzten Jahre zum Trotz hat das World Wide Web noch immer nicht das Ende des persönlichen Verkaufs eingeleitet. Im Gegenteil: Durch die riesige Transparenz, die das Internet erzeugt, durch die globale wirtschaftliche Vernetzung und die digitale Revolution sind Produkte und Dienstleistungen immer ähnlicher geworden. Das eigene Unternehmen über ein wirklich einzigartiges Produkt zu differenzieren, ist fast nur noch in Nischenmärkten möglich. Doch selbst diese Nischen werden mittlerweile von immer mehr Wettbewerbern penetriert, die hart darum kämpfen, um den Hidden Champions vor Ort das Wasser abgraben zu können.
Im dadurch steigenden Wettbewerbs- und Preisdruck müssen Unternehmen andere Wege finden, sich von der Konkurrenz abzuheben. Eine Sales Driven Company (SDC) zu werden, ist dieser Weg. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass der Vertrieb strategisch zum Differenzierungsfaktor im Markt ausgebaut wird. Als Erfolgsvoraussetzungen liefert dieses Vorgehen greifbaren Mehrwert für die Kunden und einen Vertriebsansatz, der für die Mitspieler im Markt kaum oder gar nicht zu kopieren ist.
Die richtigen Stellhebel ziehen
Unter der ganzheitlichen Einbindung des Vertriebs ins Unternehmen ist tatsächlich ein radikales Umdenken zu verstehen. Die gesamte Unternehmensorganisation wird zu einem einzigen, großen Vertriebsorganismus. An dieser Stelle wird deutlich, dass der Change zur SDC sich nicht nur auf die Vertriebsleitung begrenzen darf, sondern eine wesentliche Aufgabe der Geschäftsleitung darstellt.
Die strategischen Stellhebel bestehen aus verschiedenen elementaren Bausteinen, anhand derer das Unternehmen vertriebsorientiert ausgerichtet wird: Strategie, Struktur und Prozesse, Systeme, Kultur und Mitarbeiter. Die folgen Checklisten zeigen Ihnen, worauf es dabei wesentlich ankommt:
Checkliste I: Sales Drive in der Strategie
- Vertriebliche Themen sind in die Strategie des Unternehmens eingebunden.
- Die strategischen Ziele sind mit den vom Vertrieb analysierten Marktchancen abgeglichen.
- Die Strategie verfolgt quantitative und qualitative Ziele (etwa Kundenakquise und Kundenbeziehung), die der Vertrieb beeinflussen kann.
- Die Unternehmen bezieht die Vertriebsressourcen in alle strategischen Überlegungen mit ein und sorgt dafür, dass diese, wenn nötig, aufgestockt werden.
- Als Kernkompetenz ist der Vertrieb ein Faktor, mit dem sich das Unternehmen vom Markt unterscheidet.
- Die Unternehmensstrategie orientiert sich an definierten Markt- und Kundensegmenten.
- Vertriebsstrategie, Marketingstrategie und Unternehmensstrategie greifen abgestimmt ineinander.
Checkliste II: Sales Drive in Strukturen und Prozessen
- Die Anzahl der Mitarbeitenden im Vertrieb ist den strategischen Zielen angemessen.
- Der Vertrieb ist auf Geschäftsleitungsebene verankert.
- Die Vertriebs- und Unternehmensorganisation sind auf konkrete Markt- und Kundensegmente ausgerichtet.
- Alle Bereiche im Unternehmen arbeiten effizient und effektiv in vertriebsorientierten Teams zusammen.
- Vertriebsrelevante Mitarbeiter sitzen räumlich eng beieinander.
- Vertriebsorientierter Erfahrungsaustausch bindet alle Bereiche ein.
- Mängel im Vertriebsprozess und in der Vertriebsorientierung werden schnell beseitigt.
- Die Zusammenarbeit im Rahmen der Vertriebsorientierung wird in Stellenbeschreibungen definiert.
- Zielvereinbarungen werden so formuliert, dass alle Bereiche am gleichen Strang ziehen.
Checkliste III: Sales Drive in der Vertriebssystematik
- Definierte Geschäftsprozesse regeln die Kooperation des Vertriebs mit anderen Bereichen.
- Die Informations- und Kommunikationssysteme unterstützen alle Bereiche optimal in ihren vertriebsorientierten Aufgaben.
- Das Unternehmen nutzt Kennzahlensysteme für eine vertriebsbezogene Erfolgskontrolle.
- Das Unternehmen arbeitet konsequent und verbindlich mit einem CRM-System.
- Die Kunden werden systematisch segmentiert und bearbeitet.
- Anreize für mehr Vertriebsorientierung werden systematisch genutzt.
- Die Kundenbedürfnisse stehen für alle durch das CRM und andere Tools im Fokus.
Checkliste IV: Sales Drive in der Kultur
- Das Topmanagement unterstützt den Vertrieb sowohl intern als auch im Kundenkontakt.
- Das Topmanagement treibt den Vertrieb zu operativen Spitzenleistungen an.
- Das Topmanagement versteht den Vertrieb als Erfolgsfaktor und sich selbst als oberster Verkäufer.
- Jeder Mitarbeiter denkt kunden- und vertriebsorientiert zugleich.
- Eine vertriebsorientierte Unternehmenskultur wird aktiv gepflegt.
- Alle Führenden kennen und leisten ihren Beitrag zum Vertriebserfolg.
- Die Führungskräfte fordern und fördern vertriebsorientiertes Verhalten.
- Die Werte des Unternehmens enthalten Wachstumsambitionen.
- Die Mitarbeiter des Anbieters verstehen sich als Wertsteigerer für die Kunden.
Checkliste V: Sales Drive im Personalwesen
- Vertrieb ist ein Karrieresprungbrett im Unternehmen.
- Vertriebsmitarbeiter werden systematisch weitergebildet.
- Andere Mitarbeiter werden vertriebsorientiert geschult.
- Es gibt systematische Karrierepfade für Mitarbeiter im Vertrieb.
- Mitarbeiter werden in Bezug auf ihren Beitrag zum Vertrieb bewertet.
- Durch systematische Kundenkontakte werden möglichst viele Mitarbeiter vertriebsorientiert eingesetzt.
Sales Drive ist kein Hardselling. So gelingt der Einstieg:
Aus dem bisher Gesagten sollte klar geworden sein, dass die Strategie einer SDC nichts mit Hardselling, dem berühmt-berüchtigten Verkaufen um jeden Preis, zu tun hat. Letzteres ist immer angebots- und abschlussgetrieben. Ein SDC hingegen bringt die Vertriebsstrategie harmonisch mit den Bedürfnissen des Kunden zusammen.
Für den professionellen Einstieg in eine Sales Driven Company sind Überlegungen und Vorarbeiten in vier Phasen wichtig:
Der richtige Einstieg in die Sales Driven Company
- Analyse: Welche Bedeutung hat der Vertrieb für den Unternehmenserfolg? Nur wenn das Potenzial zum Wachstums- und Wettbewerbsvorteil gegeben ist, hat die Beschäftigung damit Sinn.
- Evaluierung: In welchen Belangen ist das Unternehmen auf Basis der genannten Stellhebel besser, vergleichbar oder schlechter als andere? Es empfiehlt sich, dies konkret an zwei oder drei wichtigen Wettbewerbern nachzuvollziehen.
- Konzeption: Welches konzertierte Vorgehen gewährleistet, dass das Unternehmen dem Wettbewerb in mindestens einer Dimension überlegen ist, ohne in den anderen wesentlich zurückzufallen?
- Umsetzung: Wie kann das Konzept in maximal einem Jahr beharrlich umgesetzt werden? Die geplante Umsetzungsdauer berücksichtigt die Menge der offenen Themen und die Wahrscheinlichkeit, das Vorgehen an ein dynamisches Umfeld anpassen zu müssen.
Unternehmen, die den Wert des Sales Drive für sich erkannt und seine Prinzipien erfolgreich implementiert haben, sind nachhaltig für die Zukunft gewappnet und können die Chancen von Digitalisierung und Globalisierung nutzen, ohne ihren Risiken zum Opfer zu fallen.
Über den Autor: Prof. Dr. Dirk Zupancic stammt aus der Schule der renommierten Universität St. Gallen, an der er promovierte, habilitierte und heute einer der Top Dozenten in der Managementausbildung ist. Er war Professor und Bereichsleiter in St. Gallen und leitete acht Jahre erfolgreich eine private Business School als Geschäftsführer und Präsident. Heute ist er selbstständiger Unternehmer, Aufsichts- und Beirat. Seine Mission: Sales Drive! Er unterstützt Unternehmen darin, mit kundenorientierten Lösungen und höchster Professionalität in Marketing und Vertrieb dauerhafte Wettbewerbsvorteile und profitables Wachstum zu erzielen. www.dzp-consulting.com