Unternehmen stehen schon seit einigen Jahren vor der Herausforderung der Auswechselbarkeit. Ihre Leistungen, d.h. Produkte oder Services, sind vergleichbar. Selbst High-Tech-Unternehmen, die sich lange ihres technologischen Fortschritts sicher waren und auf ihre Innovationskraft bauten, stehen plötzlich im Preiswettbewerb. Ein sicheres Zeichen dafür, dass sie vergleichbar geworden sind. In diesem Beitrag geht es um die „Customer Experience“ als eine Lösung, um in dieser kritischen Situation als Anbieter wieder Oberhand zu gewinnen.

„Customer Experience“: Der Ansatz und sein Potenzial
Customer Experience umfasst die gesamte Erfahrung eines (potenziellen) Kunden mit einem Anbieter. Sie geht damit viel weiter, als die eigentliche Leistungsgestaltung, die natürlich eingeschlossen ist. Für ein Verständnis der Erfahrung aus Kundensicht muss sich der Anbieter zunächst von seinen eigenen Angeboten gedanklich trennen und verstehen, wie der Kunde mit seinem Unternehmen in Kontakt kommt und interagiert. Der Fokus liegt also zunächst auf einem ganzheitlichen Verständnis des Kundenprozesses und erst dann auf der Identifizierung der Berührungspunkte zum eigenen Unternehmen. Auf dieser Basis geht es darum, eben diese Erfahrung ganzheitlich zu gestalten. Der Ansatz bietet damit wieder deutlich mehr Differenzierungspotenzial im Wettbewerb als dies bei einer reinen Leistungsgestaltung möglich wäre. Er verhindert zugleich die Vergleichbarkeit auf konstruktive Weise und schafft Spielräume für neue Preismodelle. Die Customer Experience „korrespondiert“ mit einem Preiskonzept, das von seiner Natur sowohl für Anbieter als auch für Kunden die beste Basis bietet: Die Total Cost of Ownership, das heisst die Kosten der kompletten Nutzung einer Leistung oder – noch besser – einer Erfahrung.

Die Erfahrung eines Kaffeekunden: Das Beispiel Nespresso
Nespresso wird im Marketing gern als „Best Practice“ Beispiel verwendet. Häufig wird dabei ignoriert, dass das Mutterunternehmen Nestle mehr als 6 Jahre an die Idee glaubte und – trotz mässiger Markterfolge – das Konzept immer weiter verfeinerte. Heute kauft der Kunden nicht einfach nur einen teuren Kaffee, was uns manche Experten wie ein Marketingwunder erklären. Der Kunde kauft eine ganzheitliche Kaffeeerfahrung. Und die ist ihm einiges Wert. Es lohnt sich, die Erfahrung mit Nespresso selbst zu machen, aber hier soll eine kurze Beschreibung ausreichen: Egal an welchem Punkt man mit Nespresso in Berühung kommt, den Kunden erwartet ein hochwertiges, stilvolles, freundliches, sympathisches „Erlebnis“ rund um das Thema Kaffee: Die Werbung mit George Clooney, die Website mit Informationen und Bestellmöglichkeiten, die Mitgliederverwaltung im Nespresso-Club (der seine Kunden und deren Maschinen wirklich kennt), die Shops, die Hotline zur Bestellung oder bei Fragen, das Magazin, die Kulanz, die schnellen und zuverlässigen Lieferungen usw. Der Unterschied zu einem normalen Kaffee-, sogar der Unterschied zu einem anderen Kapsel- oder Pad-Anbieter ist in jedem Detail spürbar und darauf kommt es an.

Ja, aber … in unserer Branche
Wie immer bei guten Beispielen gibt es viele Gegenargumente, warum, dass z.B. in anderen Branchen nicht geht. Jede Branche und jedes Unternehmen hat ihre Eigenheiten. Dennoch sind diese Argumente vorgeschoben. Ich erinnere mich an die Zusammenarbeit mit einem Schweizer Technologieunternehmen, bei denen der CEO schon vor Jahren „Produktmanager“ zu „Customer Experience Manager“ machte. In einer Vorstellungsrunde sagte ein Seminarteilnehmer: „Ich bin seit 20 Jahren Produktmanager, verstehe mich aber eher als technischer Produktmanager.“ Das Beispiel macht deutlich, wie groß der Schritt vom Produkt- zum Experience-Management ist. Das gilt auch für die einzelnen Menschen. Und vielleicht klingt das „Management einer Kundenerfahrung“ gerade für technisch orientierte Unternehmen auch leicht esoterisch. Ohne Zweifel spielt die Kompetenz im Kerngeschäft eine wichtige Rolle. Aber welche Möglichkeiten haben Anbieter, wenn sie trotz aller Anstrengungen vergleichbar sind? Und sind es nicht immer die Menschen und ihre Erfahrungen, die das Geschäft mit einem Anbieter prägen?

Management-Empfehlungen
Die Kundenerfahrung mit einem Anbieter ist entweder ein Prozess mit Phasen oder sie lässt sich in so genannten „Touchpoints“, also Berührungspunkte zwischen Anbieter und Kunden strukturieren. Zunächst sollte ein Unternehmen also die Phasen oder die Touchpoints identifizieren und analysieren. Dabei geht es um die Erwartungen und Bedürfnisse des Kunden an jedem dieser Punkte. Je nach Branche müssen hierbei verschiedene Ansprechpartner beim Kunden berücksichtigt werden.

Im nächsten Schritt sind für Phase und Punkte individuelle Leistungsstandards festzulegen. Es geht darum, in jeder Phase die Erwartungen (und das Niveau) der Wettbewerber mindestens zu erfüllen. Darüber hinaus müssen die aus Kundensicht wichtigsten Aspekte übererfüllt werden. Zufriedene Kunden entstehen nur, wenn Erwartungen übertroffen werden. Das Ziel besteht also darin, an keinem Punkt der Kundenerfahrung Nachteile gegenüber den Wettbewerbern zu haben, dafür aber bei wichtigen Themen klare Vorteile.

Damit ist konzeptionelle Basis gelegt und es geht um die Implementierung im Tagesgeschäft. Ich empfehle die Schaffung von „Customer Experience Managern“ als Weiterentwicklung der Produktmanager. Jemand muss für die Kundenerfahrung verantwortlich sein. Es geht darum, alle Beteiligten so zu führen, dass der Kunde die bestmögliche Erfahrung mit dem Unternehmen macht. Dazu sind auch entsprechende Ziel- und Kontrollgrößen für den Gesamtprozess und die einzelnen Phasen nötig.